"Wenn Menschen sich darauf konzentrieren, eine bessere Gesellschaft aufzubauen und zu verhindern, dass sich vergangene Gräueltaten wiederholen, sprechen sie in der Regel besser auf eine Behandlung an. Diese Menschen verarbeiten ihr Trauma schneller oder effektiver, weil sie für sich einen Grund zur Weiterentwicklung gefunden haben. Das ist natürlich nur meine persönliche Erfahrung."

Wie kam es zu Ihrer Zusammenarbeit mit der Jiyan Foundation im Irak?

Ich traf Salah Ahmad zum ersten Mal im Jahr 1993. Damals war Saddam Hussein an der Macht, und das war kurz nach dem Völkermord an den Kurden im Irak, bekannt als Anfalkampagne. Salah ist seitdem ein enger Freund; ich betrachte ihn wie einen Bruder. 2003 erzählte er mir, dass er Psychotherapie und Traumabehandlung für Überlebende der Folter im Irak einführen wollte. Damals hieß es noch „Kirkuk Center for Torture Victims“ (Zentrum für Folteropfer in Kirkuk). Von diesem Moment an habe ich mich seiner Mission verschrieben. Wie Sie wissen, bietet die Jiyan Foundation heute den Überlebenden von Menschenrechtsverletzungen im ganzen Land lebensrettende psychologische und medizinische Unterstützung. So kann man sehen, dass Salah viel mehr erreicht hat als das, was er sich vor zwanzig Jahren vorgenommen hatte.

Ich selbst bin Psychiater und arbeite seit den Anfängen mit der Jiyan Foundation zusammen.

Sie haben miterlebt wie aus dem einen Zentrum mehr als zehn Einrichtungen geworden sind. Das ist ein großer Zuwachs in der Größe der Organisation und in der Zahl der Patient:innen, die Sie betreuen.

Ja, das stimmt. Sie kennen die Geschichte der chemischen Waffen, der Folter und der politischen Gewalt; die Menschen leben hier allgemein mit einem Trauma. Dadurch habe ich zwei Dinge gesehen.

Erstens: Ich bin schon lange genug dabei, um ein wiederkehrendes Trauma zu sehen, ein kollektives und transgenerationales Trauma, wenn eine Gruppe von Menschen demselben Mord, derselben Folter oder demselben Ereignis ausgesetzt ist. Diese Ereignisse verändern die Struktur unserer Gesellschaft für die kommenden Generationen.

Zweitens, und das ist wichtig, sehe ich in meiner Arbeit viele Menschen, die ihr Leben nach dem Prinzip leben, ihren Gemeinden zu helfen. Wenn Menschen sich darauf konzentrieren, eine bessere Gesellschaft aufzubauen und zu verhindern, dass sich vergangene Gräueltaten wiederholen, sprechen sie in der Regel besser auf eine Behandlung an. Diese Menschen verarbeiten ihr Trauma schneller oder effektiver, weil sie für sich einen Grund zur Weiterentwicklung gefunden haben. Das ist natürlich nur meine persönliche Erfahrung.

Haben sich die Arten von Patient:innen, die Sie als Psychiater sehen, im Laufe der Zeit verändert?

Was die Klassifizierung der verschiedenen Symptome und psychischen Störungen angeht, ja, absolut. Die Symptome, die wir sehen, neigen jedoch dazu, sich zu wiederholen. Das ist zum Teil der Grund, warum Erfahrung als Psychiater:in oder Psycholog:in so wichtig ist. Wenn man Erfahrung hat, wenn man Patient:innen gut zuhören kann, wird man die Dinge aufgreifen.

Posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD) sind bei Menschen im Irak sehr verbreitet. Viele Menschen leiden unter Kindheitstraumata, sexuellem Missbrauch und Gewalt, die ihr ganzes Leben lang anhalten. Ich hatte zum Beispiel eine erwachsene Patientin, die unter sexuellem Missbrauch litt, den sie als Kind erlebt hatte. Sie hatte ihr ganzes Leben lang nicht über diese Ereignisse gesprochen, und sie lebten wie ein Gift in ihrem Kopf.

Wenn Sie also eine Patientin wie die von Ihnen beschriebene bekommen, die sexuell missbraucht wurde, wie können Sie dann mit dieser Person darüber sprechen?

Die Patientin sucht in der Regel mit vielen abnormen Symptomen Hilfe. Ich meine körperliche Symptome, und in diesem Fall konzentriert sie sich nicht auf ihre psychische Gesundheit, sondern auf ihre körperlichen Schmerzen. In vielen Fällen handelt es sich um psychosomatische Symptome: also körperliche Beschwerden, die durch ein psychisches Trauma verursacht werden. In diesen Fällen kommt die Patientin zur medizinischen Behandlung und wird von einem Arzt untersucht. Nach der Untersuchung wird der Arzt die Patientin an mich überweisen. Unsere Patient:innen treffen sich in der Regel sowohl mit medizinischen als auch mit psychologischen Fachleuten.

Wenn ich mich mit den Patient:innen treffe, schildern sie oft ihre eigene Angst in öffentlichen Räumen oder andere Hinweise, die auf ein vergangenes Ereignis hindeuten. Nach einigen Sitzungen beginnen die Patient:innen und ich, Vertrauen aufzubauen, und erst dann können wir über diese vergangenen Traumata sprechen.

Manchmal ist das Trauma so stark, dass die Patient:innen Medikamente benötigen, um im täglichen Leben zu funktionieren. Das sind die Art von Dingen, mit denen ich mich als Psychiater beschäftige.

Das Ziel ist natürlich diese Traumata zu behandeln, damit die Patient:innen ein normales Leben führen können, ohne Furcht, Angst oder die Notwendigkeit von Medikamenten. Aus diesem Grund verfolgt die Jiyan Foundation einen ganzheitlichen Ansatz zur Genesung, weshalb sich unsere Patient:innen mit Ärzt:innen, Psychotherapeut:innen und Psychiater:innen treffen.

Was würden Sie sagen ist die wichtigste Lektion, die Menschen mitnehmen?

Ich habe in all den Jahren gelernt, dass niemand allein heilen kann. Man kann eine traumatisierte Person nicht von ihrer Familie wegnehmen. Wir müssen die ganze Gemeinschaft in den Heilungsprozess einbeziehen. Wir müssen die Gemeinschaft aufklären und einbeziehen, damit sie sich gegenseitig unterstützen.

Wir brauchen Prinzipien und Ziele, auf die wir hinarbeiten. Diese Grundsätze für Gleichheit, Gerechtigkeit und Menschenrechte geben uns einen Sinn. Als Menschen sind wir viel erfolgreicher, wenn wir Familie, Gemeinschaft und Prinzipien haben, die uns halten können. Ich liebe die Jiyan Foundation, weil wir diese Lektionen zu Herzen nehmen und unsere Programme auf diesen Dingen basieren.