Am 1. März 2025 ist es vier Jahre her, dass das irakische Parlament das Gesetz für überlebende Jesidinnen (Yazidi Female Survivors Law – YSL) verabschiedet hat, mit dem ein Wiedergutmachungsprogramm eingeführt wurde. Das Gesetz gewährt folgenden Gruppen von Überlebenden Zugang zu einer Reihe von Rechten und Leistungen: geschädigten jesidischen, turkmenischen, christlichen und schabakischen Frauen und Mädchen sowie jesidischen Jungen, die vom IS entführt wurden, sowie Frauen und Männern, die Massenmorde des IS überlebt haben.
Das YSL sieht mehrere wichtige Wiedergutmachungsmaßnahmen, wie finanzielle Unterstützung, medizinische und psychologische Betreuung, die Bereitstellung von Land, Wohnraum, Bildung und Beschäftigung vor. Darüber hinaus wird offiziell anerkannt, dass der IS einen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat. Es werden Gedenkveranstaltungen, die Suche nach den noch in Gefangenschaft befindlichen Menschen, die Öffnung von Massengräbern, die Identifizierung der sterblichen Überreste und deren Rückgabe an die Familien angeordnet. Irakische Institutionen werden aufgefordert die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Die zugehörigen Verordnungen erweitern diese Verpflichtungen, einschließlich der Entwicklung spezieller Lehrpläne zum IS-Konflikt, um ein friedliches Zusammenleben und den Verzicht auf Gewalt zu fördern.
Die „Coalition for Just Reparations“ (C4JR) und die Jiyan Foundation for Human Rights veröffentlichen den dritten Jahresbericht More than „Ink on Paper“ (auf Englisch), der den aktuellen Stand der Umsetzung des YSL bewertet. Wir tun dies mit dem Ziel, sicherzustellen, dass das YSL sein volles Potenzial ausschöpft und nicht, wie es einige Überlebende formuliert haben, nur Tinte auf Papier bleibt.
Vier Jahre nach ihrer Verabschiedung können wir die Errungenschaften der YSL-Umsetzung feiern, aber auch auf ihre Mangelhaftigkeiten hinweisen. Vor allem sollte mehr getan werden, um die Transparenz in Bezug auf die YSL-Anspruchsberechtigung zu gewährleisten und den Zugang zum Antrags- und Berufungsverfahren zu verbessern. Ebenso müssen größere Anstrengungen unternommen werden, um ein nachhaltiges, staatlich gefördertes System für die Bereitstellung ganzheitlicher Rehabilitationsdienste einzurichten, das spezialisierte psychologische, medizinische, soziale, bildungsbezogene, berufliche und rechtliche Rehabilitationskomponenten umfasst, und um von IS begangene internationale Verbrechen zu untersuchen und zu verfolgen. Schließlich hat die Suche nach mehr als 2.600 vermissten Personen für die Überlebenden, ihre Familien und Gemeinden weiterhin höchste Priorität.
Im Hinblick auf die Versuche, den internationalen Rahmen für Menschenrechte und Gerechtigkeit zu sprengen, der anhaltenden Konflikte in der Ukraine, in Gaza, in der Demokratischen Republik Kongo und anderswo sowie des Regimewechsels in Syrien müssen wir die internationale Gemeinschaft, die Regierungen und die politische Akteure aller Couleur immer wieder an die entscheidende Bedeutung von Wiedergutmachung erinnern! Reparationen sind die einzige Maßnahme der Übergangsjustiz, die – wenn sie richtig umgesetzt wird – den Überlebenden direkt die Möglichkeit geben kann, ihr Leben wiederherzustellen und ihre Lebenspläne zu verwirklichen. Der rechtzeitige Zugang zu umfassender Wiedergutmachung kann auch die Migrationsmuster dahingehend verändern, dass die Überlebenden die Flucht nicht mehr als ihre „beste Chance“ im Kampf um Selbstbestimmung und ein Leben in Würde ansehen. Das YSL kann als Fahrplan und Goldstandard dienen, der in anderen Post-Konflikt-Gesellschaften nachgeahmt werden kann. Schließlich sollten die Staaten nicht (nur) militärische Kapazitäten aufbauen, sondern vorrangig in Reparationen investieren, da die Dividende einer solchen Investition der Frieden sein wird.
Mit freundlichen Grüßen
Sincerely
Dr. Bojan Gavrilovic, ein internationaler Menschenrechtsexperte aus Berlin, ist der Leiter des Programms Recht und Gerechtigkeit bei der Jiyan Stiftung für Menschenrechte e.V., bei der er sich auf Reparationen von Überlebenden von Gräueltaten spezialisiert hat.
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Die Jiyan Foundation unterstützt Überlebende von Menschenrechtsverletzungen, fördert demokratische Werte und schützt Grundfreiheiten im Irak, in Kurdistan-Irak und in Nordsyrien.